Ewiges Leben
SIMULIERTES GEHIRN

Wir werden ewig leben im Silizium

Körper nutzen sich ab, aber es naht der Zeitpunkt, an dem wir Gehirne im Computer simulieren können - und ewig in ihnen leben, glaubt der Hirnforscher David Eagleman. Wichtig ist nur, dass wir auf dem Chip auch weiterhin Erinnerungen sammeln können. Sonst droht Stillstand.

Die Medizin wird zwar im nächsten halben Jahrhundert Fortschritte machen. Der Weg zur Unsterblichkeit ist aber nicht die Heilung sämtlicher Krankheiten. Ein Körper nutzt sich im Laufe der Zeit einfach ab.

Wir machen allerdings riesige Fortschritte bei Technologien, die uns gestatten, unvorstellbare Datenmengen zu speichern und gigantische Simulationen durchzuführen. Daher werden wir - lange bevor wir verstanden haben, wie das Gehirn funktioniert - in der Lage sein, digitale Kopien der Gehirnstruktur anzufertigen. Und dann können wir auch das Bewusstsein auf einen Computer herunterladen.

Sollte die Hypothese stimmen, dass das Gehirn im Grunde genommen wie ein Computer arbeitet, müsste eine genaue Nachbildung unseres Gehirns auch unsere Erinnerungen enthalten, so handeln, denken und fühlen, wie wir es tun, und unser Bewusstsein erleben - unabhängig davon, ob diese Nachbildung aus biologischen Zellen, Modellbauteilen oder Nullen und Einsen besteht.

Der wichtige Teil unseres Gehirnes ist - so die Theorie - nicht dessen Struktur. Es geht vielmehr um die Algorithmen, die auf dieser Struktur laufen. Bildet man also das Gerüst nach, das diese Algorithmen unterstützt, dann sollte der sich daraus ergebende Geist identisch sein - selbst wenn das Medium ein anderes ist.

Sollte sich das als korrekt herausstellen, ist es nahezu sicher, dass wir bald über Technologien verfügen werden, mit denen wir unsere Gehirne kopieren können - um im Silizium ewig zu leben.

Wir werden nicht mehr sterben müssen.

Stattdessen werden wir in virtuellen Welten wie der "Matrix" leben. Ich kann mir vorstellen, dass es Märkte geben wird, in denen man verschiedene Arten von Leben nach dem Tode wird erwerben können. Und man wird diese mit unterschiedlichen Menschen teilen können - das ist die Zukunft sozialer Netzwerkdienste.

Dem eigenen Tod zuschauen

Hat man sich erst einmal heruntergeladen, kann man vielleicht sogar den Tod des eigenen Körpers, draußen in der echten Welt, beobachten - so wie man sich einen interessanten Film anschauen würde.

Diese hypothetische Zukunft stützt sich natürlich auf viele Annahmen. Wenn sich nur eine davon als Trugschluss erweist, stürzt das gesamte Kartenhaus zusammen. Das Hauptproblem besteht darin, dass wir nicht genau wissen, welche Variablen entscheidend sind und unbedingt in unsere hypothetische Gehirnabtastung einbezogen werden müssen.

Entscheidend werden vermutlich die Details der Verbindungen zwischen den Hunderten von Milliarden von Neuronen sein. Doch auch eine genaue Kenntnis der Verschaltung des Gehirns wird nicht reichen. Die dreidimensionale Anordnung der Nervenzellen und Glia-Zellen wird wahrscheinlich ebenfalls von Bedeutung sein, beispielsweise wegen der dreidimensionalen Diffusion von Signalen außerhalb der Zellen. Auch wie stark jede der 100 Billionen synaptischen Verbindungen ist, müssen wir ermitteln und festhalten. In einem noch komplexeren Szenario wird es zudem noch nötig sein, den Zustand einzelner Proteine (den Phosphorylierungszustand, die genaue räumliche Struktur, die Wechselwirkung mit benachbarten Proteinen etc.) zu erfassen und zu speichern.

Möglicherweise wird eine Simulation, die sich auf das Zentralnervensystems beschränkt, nicht ausreichen, um das Erleben vernünftig zu simulieren. Andere Aspekte des Körpers müssen womöglich ebenfalls berücksichtigt werden - etwa der Hormonhaushalt, der Signale an das Gehirn schickt und von dort empfängt. So könnten es möglicherweise Trillionen von Variablen sein, die man speichern und nachbilden müsste.

Gehirnsimulation muss nicht in Echtzeit laufen

Die andere große technische Hürde besteht darin, dass das simulierte Gehirn in der Lage sein muss, sich selber zu modifizieren. Wir benötigen nicht nur die einzelnen Teile und Komponenten, sondern auch die physikalischen Eigenschaften ihrer fortwährenden Wechselwirkungen. Transkriptionsfaktoren, die in den Zellkern wandern, um dort Gene zu aktivieren, die Veränderungen der Position und Stärke der Synapsen, etc.

Nur wenn die simulierten Erlebnisse in der Lage sind, die Struktur des simulierten Gehirns zu verändern, kann man auch neue Erinnerungen bilden. Wenn man das nicht kann, wird man das Verstreichen der Zeit nicht bemerken. Hätte es unter solchen Umständen dann überhaupt einen Sinn, unsterblich zu sein?

Die gute Nachricht ist die, dass die Rechenleistung von Computern ausreichend schnell zunimmt. Innerhalb eines halben Jahrhunderts dürften wir das alles schaffen. Außerdem: Die Simulation des Gehirns muss nicht in Echtzeit laufen, damit das simulierte Gehirn glaubt, in Echtzeit zu agieren.

Zweifelsohne ist die ganze Gehirnnachbildung ein äußerst komplexes Problem. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir keine neurowissenschaftlichen Technologien, die für die benötige Abtastung mit einer extrem hohen Auflösung geeignet wären. Und selbst wenn wir sie hätten, würden mehrere der leistungsstärksten Computer der Welt notwendig sein, um ein paar Kubikmillimeter Gehirngewebe in Echtzeit abzubilden.

Es ist eine gewaltige Herausforderung. Aber sofern wir bei den theoretischen Überlegungen nichts Entscheidendes ausgelassen haben, haben wir das Problem abgesteckt. Ich gehe davon aus, dass das Herunterladen von Bewusstsein zu meinen Lebzeiten Wirklichkeit werden wird.

Aus dem Englischen übersetzt von Daniel Bullinger

Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/m...636395,00.html